Elisabeth Burda Furtwängler und Dr. Jacob Burda übernehmen die unternehmerische und verlegerische Verantwortung für Hubert Burda Media. Gleichzeitig tritt Olaf Koch die Nachfolge von Dr. Paul-Bernhard Kallen im Verwaltu…
Stefan ist Asperger-Autist und arbeitet seit vielen Jahren bei Burda. Zum Welt-Autismus-Tag am 2. April haben wir ihn getroffen – ein Gespräch über klackernde Messer, falsche Vorurteile und seinen Wunsch an uns alle.
Hallo Stefan, ich würde gerne mit Dir über Autismus reden.
Ich bin Asperger-Autist, darüber können wir gerne reden. Ein Autismus-Experte bin ich nicht.
Was ist Asperger-Autismus?
Ich tue mich schwer in vielen Situationen mit vielen Menschen. Ich weiß nie, wo ich hinsehen oder hinhören soll. Verglichen mit anderen stolpere ich häufig, meine Frau nennt mich „Körperklaus“. Ich musste lernen, das witzig zu finden.
Seit wann weißt Du, dass Du an Asperger-Autismus…
(unterbricht scharf) Leidest? Das tue ich nicht.
Es tut mir leid, bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich gemerkt, dass ich mich dem Thema inhaltlich und sprachlich nicht gut auskenne.
So geht es vielen Menschen. Sie denken, Autisten sind lebensunfähig, können nicht arbeiten und kriegen einen Anfall, wenn eine ungerade Anzahl Milchkartons im Kühlschrank steht. Solche Fälle gibt es, aber das Störungsbild ist sehr vielfältig.
Ich kenne Autismus vor allem aus dem Fernsehen, aus Filmen wie Rain Man oder der Netflix-Serie Love on the Spectrum. Im realen Leben bin ich bewusst kaum Autisten begegnet, dabei leben allein in Deutschland schätzungsweise rund 800.000.
Autismus ist keine Krankheit oder Behinderung, die man Menschen ansehen kann. Es ist, wie gesagt, eine psychische Störung. Unsichtbar ist sie aber nicht – man kann Autismus in keinem Gesicht ablesen, wohl aber im Verhalten beobachten. Vor vier Wochen wurde eine langjährige Kollegin in meinem Bereich verabschiedet, mit einer kleinen Feier. Sie hat alle Anwesenden umarmt. Ich bin unter einem Vorwand aus dem Raum gegangen. Verabschiedet habe ich mich kurz vor Feierabend, per Händeschütteln.
Wer bei Burda weiß von Deinem Asperger-Syndrom?
Mein Chef. Wir kannten uns schon vor meiner Diagnose im Jahr 2017; es hat sich nichts dadurch verändert.
Und Deine Kollegen?
Nehmen Rücksicht auf mich, aber nicht mehr als ich auf sie.
Wie meinst Du das?
Ich habe eine Kollegin, die schreibt quasi keine Mails, sondern ruft für alles an. Ich mag es nicht, wenn ich ohne Vorankündigung angerufen werde. Ich habe sie dann gebeten, mir kurz zu schreiben, wenn wir sprechen sollen. Das macht es besser. Andersrum versuche ich, ihr so wenige Mails zu schreiben wie möglich.
Gibt es in Deinem Arbeitsalltag besonders anstrengende Situationen?
Wenn es voll wird und ich in Dreier-Büros arbeiten muss, setze ich mich an den Platz, an dem ich niemandem frontal gegenübersitze. Ich will beim Arbeiten niemandem direkt ins Gesicht sehen. Meine Lieblingsbüros haben keine Bilder an den Wänden, visuelle Ablenkung ist das Schlimmste für mich.
Eine Sache ist mir wichtig.
Ja?
Ich bin keine Belastung für mein Team, kein rohes Ei, das man nicht anfassen darf. Es gibt viele Situationen auf der Arbeit, die nur ich mit meinen Fähigkeiten lösen kann; Fragen, mit denen jeder im Team auf mich zukommt. In meinen Feedbackgesprächen erhalte ich regelmäßig ein „Erwartungen übertroffen“.
Was genau arbeitest Du bei Burda?
Im redaktionellen Umfeld, aber nicht als Journalist. Ich will nicht ins Detail gehen, aber ich habe mir über die Jahre Fachwissen aufgebaut, von dem der ganze Verlag profitiert. Asperger-Autisten haben oft enorme Stärken in ihren Interessensgebieten, sie sind darin viel besser und bewandter als Nicht-Autisten. Ich habe das Glück, dass sich mein Interessensgebiet sehr gut mit meinen Arbeitsinhalten deckt.
Was schätzt Du an Burda als Arbeitgeber?
Ich bin seit mehr als 15 Jahren hier und kann mir keinen anderen Arbeitgeber vorstellen. Ich mag die Unabhängigkeit in der Arbeitsweise, unseren hohen Anspruch und die Vielfalt unserer Produkte. Ich persönlich kann gar nicht nachvollziehen, wie sich so viele Kollegen für langweilige Themen wie Mode begeistern können. Aber ich bin beeindruckt, wie intensiv und offensichtlich erfolgreich sie das tun. Diese Begeisterungsfähigkeit für alle möglichen Themen bei Burda hat etwas Autistisches. Das meine ich ernst und positiv.
Hast Du Verhaltenstricks, um manchen Situationen aus dem Weg zu gehen?
Bei Feiern bin ich gerne der Organisator. Dann kann ich schnell nach dem Bier sehen, wenn zwei Personen gleichzeitig mit mir sprechen wollen. Meine Mittagspause verbringe ich in der Regel draußen. Der Lärm von klackernden Messern in der Kantine, bunte Bilder an der Wand – furchtbar.
Im Internet gibt es einige Selbsttests zum Thema Autismus. Mein Autismus-Score lag bei 26 von 100 Punkten, weil ich keinen Small-Talk und langen Augenkontakt mag. Bedeutet das, dass jeder autistische Züge in sich trägt?
Experten sprechen von einem Autismus-Spektrum, in dem alles vorkommen kann: einerseits extreme Ausprägungen, bei denen die Betroffenen nicht sprechen können, teilweise große intellektuelle Probleme haben; andererseits Menschen wie mich, die Asperger-Autisten sind und Firmen oder Familien gründen können. Dazwischen gibt es unzählige Unter- und Zwischenformen. Und es gibt autistische Verhaltensweisen oder Empfindlichkeiten, die auch Nicht-Autisten zeigen können. Aber ich finde, Du siehst mir während unseres Gesprächs unnötig oft und lange in die Augen.
Wie kann ich mich verhalten, um es Kollegen und anderen Menschen im Spektrum leichter zu machen?
Andere Bedürfnisse erfragen und respektieren; klar kommunizieren, möglichst ohne Sarkasmus, der für mich am Arbeitsplatz nichts verloren hat; generell und besonders in Großraumbüros auf laute Unterhaltungen verzichten. Eigentlich sind das alles Dinge, die ich für jeden Menschen als nützlich erachte.
Vielen Dank für unser Gespräch und dass Du so offen warst.
(schweigt für etwa 30 Sekunden)
Ja. Es würde mich freuen, wenn die positiven Seiten des Asperger-Syndroms öfter dargestellt werden. Ich bin ein guter Mitarbeiter nicht trotz, sondern wegen meines Autismus. Burda braucht Leute wie mich. Bitte schreib das dazu.