Interview
23.05.2024

Das unsichtbare Leid

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Es ist ein Donnerstag im September 2023, als Lena alles zu viel wird. Lena heißt eigentlich anders, ist um die 40 Jahre alt und arbeitet bei Burda. Lena ist eine Macherin. In ihrem Job war sie immer zuverlässig, engagiert und meistens zufrieden. Sie ist die, die alles anpackt, die mit den guten Ideen und die, die immer funktioniert. Nach einigen privaten Krisen ändert sich Lenas Leben schlagartig: Sie trennt sich von ihrem Mann, zieht mit ihrer Tochter aus der gemeinsamen Wohnung aus und fängt nochmal von vorne an.

Und das ist gar nicht so einfach: Kinderbetreuung, Arbeit, neue Wohnung, Familie, Scheidung, Alltag – Lena fühlt sich zunehmend unter Druck gesetzt. Sie weint viel, ihr fehlt die Energie. Dann kommen Schwindel-Attacken dazu. „Das ist der Stress“, denkt Lena. Ein paar Wochen später bricht sie zusammen und landet im Krankenhaus. Sie bleibt eine Nacht in der Klinik, wird untersucht und aufgepäppelt. Das Ergebnis: kein körperlicher Befund. An diesem Tag beginnt Lenas Kampf mit Depressionen und Angststörung.

"Man greift nach jedem Strohhalm"

Wie schlecht es ihr geht, merkt Lena erst spät. Der Gedanke, dass es irgendwann schon besser wird, trägt sie. „Ich habe versucht, es auszusitzen. Man greift nach jedem Strohhalm“, erzählt sie. Lesen, Sport, Meditation, Spaziergänge, Gespräche mit Freundinnen – all das hilft nur für den Moment. Sie fühlt sich erschöpft, bricht ständig in Tränen aus, leidet unter Schwindel und Ohnmachtsanfällen. „Ich war innerlich leer. Immer müde. Ich konnte einen Monat lang nicht vor die Tür gehen, nicht mal zum Müll rausbringen.“ Und dann kommt die Verzweiflung: Schließlich ist da ihre Tochter, die ihre Mutter braucht. Der Alltag, der bewältigt werden will. Freunde und Familie, die eine Erklärung verlangen und Rechnungen, die bezahlt werden müssen. Nichts davon kann Lena meistern. Als die Symptome immer stärker werden uns sie immer antriebsloser, fasst sie einen Entschluss: Ich muss etwas ändern.

Der erste Schritt Richtung Besserung

Den Gedanken ‚Ich brauche Hilfe‘ zuzulassen, war erst mal schwer. Denn zunächst ist sie einfach enttäuscht von sich selbst. Und auch überrascht: „Du rechnest nicht damit, dass es ausgerechnet dich trifft.“ Trotz Schicksalsschlägen und stressigen Phasen habe sie immer alles noch irgendwie geschafft. Bei der Entscheidung, sich professionelle Unterstützung zu suchen, hilft auch der Beistand von Freunden und Familie. Die meisten zeigen Verständnis und stehen hinter ihr. Aber nicht alle: „Wer nach ein paar unbeantworteten WhatsApp-Nachrichten beleidigt ist und Ratschläge wie „Dann nimm dir doch ein paar Tage frei“ für die Lösung hält, ist kein Freund.“ Heute ist Lena radikal und streicht solche Menschen aus ihrem Leben.

„Man weiß erst, wie sich eine Depression anfühlt, wenn man selbst drinsteckt. Zu glauben, dass es mit der Zeit wieder vorbeigeht, war mein größter Fehler“, erkennt sie. Nach Lenas Krankenhaus-Aufenthalt wird sie an eine Psychotherapeutin überwiesen. Sie hat Glück mit der Wartezeit und bekommt bald einen Therapieplatz. Das ist der erste Schritt Richtung Besserung.

„Alle im Team wissen Bescheid“

Auch in Lenas Arbeitsumfeld fällt ihre Veränderung auf. Ihre Vorgesetzte merkt, dass Lena Hilfe braucht und unterstützt sie. „Sie hat den Ernst der Lage erkannt und offen mit mir gesprochen. Ich hatte nie das Gefühl, mich schämen zu müssen.“ Dafür ist sie dankbar. Auch durch die Reaktion ihrer Chefin kann Lena heute offen mit ihrer Krankheit umgehen. „In meinem Team wissen alle Bescheid“, sagt sie. Und noch wichtiger: Ihre Kolleg:innen zeigen Verständnis für ihre Situation. Lena kann Home Office machen, wann sie will und im Büro bringen die Kolleg:innen ihr das Mittagessen an den Platz, wenn es ihr in der Kantine zu trubelig ist. Wenn sie mal länger für eine Aufgabe braucht, gibt es keinen Druck. Und das weiß Lena zu schätzen: „Ich habe Glück in meinem Team bei Burda. Wenn ich mich verstecken müsste, würde genau das meine Symptome verschlimmern."

Ohne Angst und ohne Scham

Deshalb ist sie heute für absolute Transparenz. Das rät sie auch Kolleg:innen, die ihr von ihren Sorgen, Ängsten und Problemen berichten. Vor ihrer Therapie nimmt Lena Kontakt mit dem Fürstenberg-Institut auf, mit dem Burda seit vielen Jahren kooperiert. Dort hilft ihr der professionelle Rat der Expert:innen weiter. „Vor allem hat sich meine Perspektive dadurch verändert. Ich habe verstanden, dass ich Hilfe annehmen darf“. Die Expert:innen dort raten Lena zu einer Therapie. „Hätte ich mich früher an jemanden gewandt, wäre mir viel Leid erspart geblieben“. Deshalb ist ihr heute wichtig: Keine Angst und Scham zu fürchten, wenn man Hilfe braucht. Wer die Kraft und den Mut habe, solle offen mit einer psychischen Erkrankung umgehen und um Hilfe bitten.

„Was psychisch kranke Menschen nicht brauchen, sind gute Ratschläge“

Was es dafür aber unbedingt braucht, ist der richtige Rahmen. Dass die Menschen im Umfeld passend reagieren, ist entscheidend. „Was psychisch kranke Menschen nicht brauchen, sind gute Ratschläge: ‚Geh doch mal raus in eine Bar, treib Sport oder fahr in den Urlaub‘ – das hilft nicht“.  Gesprächsangebote, ein offenes Ohr und Verständnis schon. Gerade im beruflichen Umfeld können ständige Fragen oder Hilfsangebote aber auch belastend sein und Druck erzeugen, sagt Lena. Deshalb sei es wichtig, zuerst zu fragen, ob die betroffene Person über ihren Zustand sprechen möchte oder nicht. ‚Ich bin für dich da, wenn du reden willst‘ – ein einfacher Satz, der fast immer wirkt.

Eine weitere Erkenntnis aus Lenas Erfahrung: „Wenn ich ins Büro gehe, dusche ich, schminke mich und ziehe mich an. Ich sehe gesund aus. Wer mich nicht kennt, der merkt erst mal nichts“. Psychische Erkrankungen sind unsichtbar – und deshalb ist es so wichtig, dass Betroffene darüber sprechen können und ihr Umfeld sensibilisiert wird. Das gilt auch – und vielleicht vor allem – für Führungskräfte.

Lena geht es heute besser. Gesund ist sie nicht, aber meistens schafft sie es, morgens aufzustehen, zur Arbeit zu fahren, mit Menschen zu sprechen, einkaufen zu gehen und abends ihre Tochter ins Bett zu bringen. „Wenn ich mir eines wünsche, dann, dass mehr über psychische Krankheiten gesprochen wird. Seid sensibel. Fragt nach und hört zu. Zeigt Verständnis und informiert euch. Eure Reaktion kann für Betroffene der entscheidende Schritt sein, mit der Krankheit zurechtzukommen.“


Dieser Text ist im Rahmen des Mental Health Awareness Monat im Mai entstanden. Wir unterstützen den offiziellen Aktionsmonat, um das Bewusstsein für mentale Gesundheit zu schärfen und die Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz zu unterstützen.

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