Felix Kalkum steht vor einer großen Aufgabe: Als neuer Geschäftsführer von BurdaSolutions tritt er in Gerhard Thomas‘ Fußstapfen. Wer ist der promovierte Physiker, der als Kind das Programmieren liebte und im Auto das B…
„Egal wo du beruflich oder privat stehst, spätestens alle zehn Jahre kündigst du, trittst einmal aus deiner Kammer heraus und schaust dir in Ruhe an, was du gelernt hast und von welchen Aspekten des Lebens du gerne mehr hättest“: Vor mehr als 20 Jahren schloss Roman Miserre, bis Januar 2024 Geschäftsführer der BurdaProcurement, diesen Pakt mit sich selbst. Und er bleibt sich treu: 2013 hing er seinen Job als Geschäftsführer von Chip an den Nagel, um Länder wie Äthiopien, den Iran, Laos und China zu bereisen – Länder, „von denen ich nur Vorurteile oder Klischees kannte und denen ich zutraute, mich zu verunsichern“, wie er im letzten Interview vor seiner Abreise verriet.
Jetzt, gut zehn Jahre später, ist Roman wieder unterwegs. Ich erwische ihn in Seoul, Südkorea, wo er das WLAN eines hippen Cafés zwischen Studenten und Weltenbummlern anzapft, um mir via Teams – „eine schöne Erinnerung an die Arbeit“ – von seinen spannenden Abenteuern und Erkenntnissen aus den vergangenen 200 Tagen zu erzählen, in denen er bis dato mehr als 9.000 Kilometer mit seinem Fahrrad zurückgelegt und 15 Länder bereist hat. „One year on a bike“ nennt er seine Reise in den sozialen Medien. Eine Reise um die Welt – und zu sich selbst.
Entstanden sei die Idee, alle zehn Jahre alles hinter sich zu lassen, durch Beobachtungen, die Roman als Mittzwanziger gemacht hatte. Was er damals aus Gesprächen mit Menschen Ü50 mitgenommen hatte, war, dass sie meistens über die Dinge sprachen, die sie nicht gemacht hatten und die sie bereuten: die (Karriere-) Wege, die sie sich „eigentlich anders vorgestellt“ hatten, oder das Hamsterrad, dem sie sich einfach so hingegeben hatten, ohne dass es ihnen wirkliche Erfüllung gegeben hatte. „Ich hatte das Gefühl, viele Leute sitzen auf der Rücksitzbank ihres eigenen Lebens.“ Damals habe er beschlossen, einen anderen Weg gehen zu wollen und ein Leben zu leben, von dem er einmal sagen kann, Dinge, die ihm wichtig sind, nicht verpasst zu haben.
Und so stieg er Anfang des Jahres auf sein 20 Kilogramm schweres Stahl-Bike, ausgerüstet mit vier Gepäcktaschen, „in denen ich alles habe, was ich für ein glückliches Leben brauche.“ Darunter: zwei Jacken, Regenkleidung, zwei Hosen, zwei Hemden und zwei Unterhosen. Außerdem ein selbststehendes Zelt, von dem er auch nur das Innenzelt als Moskitoschutz aufstellen kann, um besser in den Sternenhimmel zu blicken, eine Isomatte – die „derzeit leider ein Loch hat und mehrmals pro Nacht um neue Luft bittet“ – Kochgeschirr, einen alkohol-betriebenen Kocher und Werkzeug. Als einziges Luxusgut hat er außerdem einen Klappstuhl dabei – „darum haben mich schon viele andere Radfahrer beneidet“, lacht Roman.
Seit Monaten trägt er nur noch seine Crocs, theoretisch hat er aber auch ein Paar Turnschuhe im Gepäck. Am Fahrrad hat er zwei Vorrichtungen für große Wasserflaschen, für die abendliche Dusche hat er einen 5L-Wassersack, den er täglich ab 16 Uhr aufzufüllen versucht – etwa in Moscheen, an Brunnen und Friedhöfen oder, wenn nichts dergleichen aufzufinden ist, auch mal bei wildfremden Menschen zuhause.
An deren Türen zu klopfen, macht Roman nach mehr als 200 Tagen Weltreise nichts mehr aus, im Gegenteil: „Die Welt wird immer freundlicher, je näher man ihr kommt“, erklärt er und beschreibt, wie er beinahe täglich von fremden Menschen angesprochen, mit Lebensmitteln ausgestattet oder zu ihnen nach Hause eingeladen wird. „Die Menschen, gerade im arabischen Raum, öffnen einem nicht nur schnell ihre Tür, sondern auch ihr Herz.“ Das erzeuge in ihm ein Gefühl von Demut. Demut dem gegenüber, „was wir zu Hause in unseren gut gepolsterten Sicherheitscontainern glauben alles zu benötigen.“ Er wiederholt: „Alles, was ich brauche, um glücklich zu sein, trage ich in meinen Gepäcktaschen. Den Rest schenkt mir gerade die Welt da draussen.” Seine Begeisterung über die Reise nehme noch immer fast täglich zu. Er habe auch noch niemanden getroffen, der es bereute, zumindest einen Teil seines Lebens etwas abenteuerlicher verbracht zu haben.
Natürlich ist auf so einer Reise aber nicht alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Der härteste Teil der Reise war laut Roman zwar der Aufbruch, der mit vielen Fragen, Ängsten und Unsicherheiten verbunden gewesen ist. Aber auch während seiner Reise habe es den ein oder anderen Tiefpunkt gegeben. Etwa in Ost-Anatolien, einer „unglaublich menschenleeren Gegend“, als das „Alleinsein“, mit der er gut klarkomme, plötzlich in „Einsamkeit“ überschwappte. Oder an der Lykischen Küste, die er während einer heftigen Hitzewelle im Juli durchradelte – „da bin ich körperlich an meine Grenzen gekommen“, sagt Roman. Und erklärt im nächsten Atemzug: „Aber all das gehört dazu: Die eindrucksvollsten Erlebnisse gehen meist mit Unbequemlichkeit einher.“
Nichtsdestotrotz ist der (nicht-monetäre) Preis seiner Reise so hoch, dass ihn nicht jeder zu zahlen bereit wäre. Etwa seinen Job an den Nagel zu hängen, das sei ihm nicht leichtgefallen: „Ich habe meine Arbeit bei Burda ja geliebt, es war definitiv nichts, von was ich ‘weg’ wollte“, sagt Roman. Außerdem schiebe er oft stundenlang sein Rad Berge hinauf. Oder radle – wie gerade in Südkorea – mehrere Tage im Regen, um abends ein weiteres Mal sein nasses Zelt aufzuschlagen. Momente, die auch ihm eine ganze Menge abverlangen.
In denen er aber auch viel lernt, was im Berufsleben weiterhelfen kann: „Ich muss ständig mit neuen Situationen umgehen und Unsicherheiten überwinden. In der Regel weiß ich am Morgen noch nicht, wo ich am Abend mein Zelt aufschlage.“ Das schule Kompetenzen wie Improvisationsfähigkeit, Lösungskompetenz, Kommunikation, Verhandlungsgeschick oder Resilienz. Und öffne den Geist für Begegnungen und einzigartige Erfahrungen: „Die Magie entsteht außerhalb der Comfort Zone.“
Ein bisschen „Comfort“ findet Roman alle paar Monate, wenn seine Frau Bettina ihn besuchen kommt. Zuletzt trafen sie sich in Thessaloniki und Tiflis, das nächste Treffen findet Anfang Dezember in Sydney statt. Sie vermisst er übrigens am meisten. „Und gutes Brot!“, fügt er lachend hinzu. Sonst fehle ihm nichts von zuhause. Allein der Gedanke an seinen vollen Kleiderschrank scheint ihm momentan eher befremdlich.
Deshalb will Roman seine Reise auch nicht abprubt beenden, sondern sich langsam, nach und nach, der vertrauten Umgebung wieder nähern. Nach seiner aktuellen Etappe durch Australien und Neuseeland plant er, im April nach Marokko zu fliegen und von dort aus über Portugal, Spanien, Frankreich und Offenburg Schritt für Schritt nach Hause zu radeln. Vor dieser „Resozialisierung“ habe er bereits jetzt großen Respekt. Ende Mai 2025 hat er Bettina versprochen, wieder in München aufzuschlagen – vollgepackt mit einzigartigen Erfahrungen. Und sicher auch ein bisschen verändert.
Wer seiner Reise folgen will, kann dies unter roman_discovers auf Instagram tun oder Komoot, wo er täglich ein digitales Tagebuch führt.