Steffi Czerny und Maria Furtwängler holen Expert:innen aus Politik, Technologie, Wirtschaft und Kultur auf die DLD Nature Bühne, um Allianzen zu schmieden und gemeinsam an Lösungen für den Schutz der Biodiversität zu ar…
Dominik Wichmann, Geschäftsführer und Chefredakteur der „Digital Life Design“-Konferenz, spricht „Klartext“. Als einer von mehr als 60 neuen abonnieren Sie diesen hier., äußert er sich zum Thema „Hasskommentare auf Facebook & Co: Wie viel Hetze sollten wir zulassen?"
Es war ein Rendezvous zwischen der virtuellen Welt und der Realität, das sich kürzlich in insgesamt 14 Bundesländern ereignete: Koordiniert vom Bundeskriminalamt, durchsuchten Beamte von 25 Polizeidienststellen mehr oder weniger gleichzeitig die Wohnungen von 60 Beschuldigten. Ihnen allen wird vorgeworfen, im Internet Menschen beleidigt, bedroht oder genötigt zu haben. Die Verdächtigten sollen zu Gewalttaten aufgerufen sowie extremistische und volksverhetzende Inhalte verbreitet haben.
Im Mittelpunkt der Ermittlungen stand eine geheime Facebook-Gruppe aus Kempten, einer eher beschaulichen Stadt in der Region Allgäu, die sich mit besonders hasserfüllten Postings hervorgetan hatte. Aber auch in Bremen, Thüringen, Hamburg, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Nordrhein-Westfalen fanden die Durchsuchungen statt. Mit anderen Worten: in nahezu dem gesamten Bundesgebiet.
Körperliche Gewalt nimmt ihren Anfang fast immer in der Sprache
Die Tatsache, dass sich die Beschuldigten ausnahmslos mit neonazistischen Parolen hervorgetan haben sollen, ist schlimm - aber letztlich nicht entscheidend. Viel wesentlicher ist die Botschaft der Ermittlungsbehörden, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum mehr ist. Ob die Schmähungen und Gewaltaufrufe von rechts außen oder links außen kommen, von jung oder alt, gebildet oder ungebildet, mag aus soziologischer Sicht interessant sein. In strafrechtlicher Hinsicht ist es zunächst einmal irrelevant. Deshalb waren die Hausdurchsuchungen und die Beweissicherung von zahlreichen PCs, Smartphones und Netbooks ein längst überfälliges Signal an den Mob im Internet.
Mit der bundesweiten Aktion hat der Rechtsstaat gezeigt, dass ihm zumindest bewusst ist, dass zwischen der physischen Gewalt auf der Straße und der virtuellen Gewalt im Netz ein evidenter Zusammenhang besteht. Seien es Politiker, Journalisten, Künstler, Lehrer oder sogar Schüler - jeder, der schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden ist, weiß nur allzu gut, wie sich die Angst anfühlt, dass die verbale Gewalt vielleicht doch einmal Realität werden könnte. Und seit jeher nimmt die körperliche Gewalt fast immer ihren Anfang in der Sprache. Ihre Verrohung ist deshalb Indikator und Vorbote zugleich.
Es ist gut, dass der Rechtsstaat sich dem Kampf gegen Hetzer stellt
Wir dürfen den öffentlichen Raum unseres demokratischen Rechtsstaates nicht jenen Überlassen, die dessen Prinzipien verachten. Auch Meinungsfreiheit endet dort, wo die Meinung des einen zur Gewalt gegen einen anderen führt. Zuschauen, Schulterzucken oder peinlich berührtes Wegsehen werden unweigerlich dazu führen, dass verbale Extremisten Schritt für Schritt jene Liberalität abschaffen, die unser Gemeinwesen ausmacht und von autoritären Gesellschaften unterscheidet. Ich finde es deshalb gut, dass nun auch die staatlichen Behörden damit begonnen haben, den Kampf gegen die Hetzer nicht nur anzukündigen, sondern auch auszutragen.
Auch wenn die Kausalität schwer zu beweisen ist: Ganz unzweifelhaft besteht ein Zusammenhang zwischen den zunehmenden Pöbeleien bei Facebook und den grassierenden Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime; zwischen den Hasstiraden einerseits und den Morden und Mordversuchen an Politikern wie Joe Cox und Henriette Reker andererseits; zwischen den abscheulichen Taten radikaler Islamisten auf Youtube und den Gewaltexzessen in Frankreich und anderswo. Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamtes, sagte nach der Aktion vom vergangenen Mittwoch, dass viele Angriffe häufig das Ergebnis einer Radikalisierung seien, die zuvor in den sozialen Netzwerken begonnen habe.
Nackte Haut wird auf Facebook sofort gelöscht - aber Tote nicht?
Wie doppelmoralisch und verlogen jedoch das Gebaren jener Unternehmen ist, die den Brandstiftern ihre Plattform zur Verfügung stellen, wurde ebenfalls in der vergangenen Woche auf tragische Art und Weise offensichtlich: Facebook und Youtube, die sonst bei jedem ungepixelten Nippel einer weiblichen Brust schier in Schnappatmung verfallen, schaffen es nicht - oder wollen es nicht schaffen -, der Verbreitung menschenverachtender Inhalte auf Ihren Plattformen systematisch einen Riegel vorzuschieben. Das Massaker auf der Promenade des Anglais in Nizza war nicht einmal eine halbe Stunde vorüber, da kursierten bereits Videos und Kommentare, die den Ermordeten jede Würde nahmen und das Feuer des Hasses nur noch weiter anheizten.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: es geht nicht um ein Plädoyer für mehr Zensur. Aber es geht darum, dass die Rechtsgrundsätze unserer Gesellschaft nicht nur abseits des Netzes gelten, sondern auch innerhalb des Netzes. Denn schon lange ist die Zeit vorbei, in der das Internet die Realität nur abgebildet hat. Wir leben inzwischen in einer Zeit, in der das Internet Wirklichkeit erzeugt. Mit den bundesweiten Hausdurchsuchungen hat nun auch der Rechtsstaat gezeigt, dass er diese Tatsache endlich begriffen hat.