Focus
18.06.2019

Klar zur Wende?

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Focus hat die Mobilitätswende längst auf der Agenda. Aktuell widmet man sich in einem 48-seitigen Special der modern gedachten Mobilität. Patrick Morda, leitender Redakteur des Specials, gibt Einblick und Ausblick.

Die Mobilität ist im Brennglas der breiten Öffentlichkeit. Das ist gut. Gleichzeitig prasselt qualitativ wie quantitativ einiges auf uns als Gesellschaft ein. Das ist teilweise herausfordernd, manchmal schon problematisch. Es herrscht eine gewisse Verwirrung, was nun zu tun sei. Wie verhalte ich mich richtig? Denn, mit dem Verhalten hat eine Mobilitätswende unbedingt zu tun.

Wie kommen wir also voran? Meine Empfehlung wäre, zunächst mal „Mobilität“ und „Zukunft“ zu entkoppeln. „Mobilität der Zukunft“ klingt nach etwas, um das sich auch noch andere kümmern können. Dann können wir auch gleich das „E“ entzaubern: Die Mobilitätswende ist nicht mit dem Vorhandensein alternativ angetriebener Vehikel abgeschlossen. Wichtig ist, bei den Fakten zu bleiben. Wie gesagt, zu viele Diskussionen schwirren durch die (Medien-)Landschaft. Das führt zu Mythenbildung und Unsicherheit und im schlimmsten Fall, zu Stillstand. Und den kann sich unsere individuelle Mobilität nicht leisten.

Exemplarisch seien hier vier dieser Mythen genannt:

1: Der eine lädt, der andere sitzt im Dunkeln

Viel diskutiert ist die Frage nach der Stabilität unseres Stromnetzes. Was, wenn tatsächlich von heute auf morgen eine Million E-Autos auf unseren Straßen fahren würden? Und dann alle zum gleichen Zeitpunkt mit maximaler Leistung (350 kW) aufgeladen würden? Blackout, sagen die einen. Das mag stimmen, lässt aber außer Acht, dass man E-Autos zum einen nicht grundsätzlich mit maximaler Leistung laden und vor allem den Ladevorgang neu verstehen muss. Man wird nicht mehr, wie beim Verbrenner, dann tanken, wenn die Reichweite kurz vor „null“ ist, sondern immer dann, wenn der Wagen nicht fährt. Auf Sicht wird dann das E-Auto zum Speicher für regenerative Energien, die tagsüber nun mal in größerem Umfang nutzbar sind als nachts. Im besten Fall und bei ausreichender Akku-Kapazität kann man so auch seinen Haushalt aus dem Auto heraus mit Energie versorgen. Es entstünde ein völlig neuer Energiekreislauf. Das ist zugegeben ein Idealzustand, der bedingt, das ausreichend Ladeinfrastruktur verfügbar und eine echte Energiewende gelebt wird. Dass das nicht von heute auf morgen geschehen kann, ist klar. Dass aber genauso wenig von heute auf morgen eine Million E-Autos auf den Straßen sein werden, auch.

2: Carsharing ist toll, weil weniger Auto gefahren wird

Das glaube ich nicht. Zugegeben, ich kann mich da nur auf den subjektiven Eindruck verlassen, aber ich behaupte, es wird eher mehr gefahren. Denn für 30 Cent die Minute nehmen auch die gerne mal die augenscheinlich bequeme Lösung in Anspruch, die sich ein eigenes Auto vielleicht nicht leisten können. Oder wollen. Und das ist völlig okay. Denn der Punkt ist ein anderer: Carsharing kann dafür sorgen, dass weniger Autos rumstehen. Spitzfindig, ich weiß. Aber so wird weniger Fläche für das Parken derselben gebraucht, denn nur ein Sharing-Fahrzeug, das permanent unterwegs ist, rentiert sich. Wandeln wir uns also zu einer echten Sharing-Society, in der Nutzen vor Besitz geht, dann entlasten wir urbane Flächen. Diese Flächen könnten dann für wirklich alternative Fortbewegung genutzt werden – auf dem (E-)Fahrrad oder dem E-Tretroller. Oje, ich höre schon den Groll ...

3: Die neuen E-Tretroller sind Quatsch und müllen die Städte zu

Ich fürchte, das wird passieren. Es passiert bereits – bald auch hier in Deutschland. Wir haben es ja sogar geschafft, Sharing-Fahrräder lieber in die Bäume zu hängen, anstatt damit zu fahren. Mit E-Bikes, die in großen Städten von Next, Lime, Uber oder Lidl bereits angeboten werden, kann das nur schwerlich passieren. Ein schwacher Trost. Ich glaube, das hat auch viel damit zu tun, dass wir in Sachen Mobilität immer noch auf Rosen gebettet sind. Bei uns fließt der Verkehr noch mehr oder weniger. In ein paar Jahren, wenn, wie prognostiziert, zum Beispiel in München permanente Rush-Hour herrscht, mag das anders aussehen. Wenn Mobilität, also die Fähigkeit in unseren Städten physisch voranzukommen, zu einem echten Gut wird, das einen wirtschaftlichen wie ideellen Wert hat. Mikromobilität, ob nun mit einem Roller oder einem Fahrrad, wird wichtig. Weil sie schnell und direkt Probleme lösen kann – wenn man sie denn richtig einsetzt und nutzt. Zum Beispiel, indem man den Lieferverkehr auf der „letzten Meile“ durch Lastenrädern und Micro-Hubs ersetzt.

4: Die „letzte Meile“ kann ich aber auch zu Fuß gehen

Stimmt, machen nur statistisch gesehen zu wenige. Es ist fast schon langweilig, so oft werden sie zitiert, aber Studien belegen, dass die Hälfte aller täglichen Autofahrten in der Stadt kürzer als fünf Kilometer sind. Ein Drittel sogar kürzer als drei. Der Focus hat es erst bereits in der vorangegangenen Heftausgabe (24/19) aufgezeigt: Mit dem Rad kann man seine persönliche CO2-Bilanz um rund 140 Gramm pro Kilometer (gegenüber dem Auto) senken. Ein E-Bike oder E-Tretroller ist in der Stadt auf kurzen Strecken effektiv. Darum machen Sharing-Anbieter da auch Sinn und darum finde ich Cargo-Bikes und Falträder toll. Das „E“ ist dabei nur eine Art Türöffner. Es geht auch nicht darum, diejenigen, die ohnehin mit Bus, U-Bahn, Fahrrad oder gar per Pedes unterwegs sind, auf ein solches Vehikel zu zwingen. Es geht darum, kurze und kürzeste Auto-/Taxifahrten zu reduzieren.

Jetzt haben wir die CO2-Akku-Zellen-Rohstoff-Lifecycle-Debatte noch gar nicht thematisiert, die Reichweitenangst und die Preisfalle „E-Auto“ ausgeblendet. Das autonome Fahren, künstliche Intelligenz, 5G, die Flugdrohnen und die Arbeitsplätze – und was passiert eigentlich auf dem Land? Die Liste ließe sich (leider) fortsetzen. Aber wie gesagt: E-Autos alleine werden uns nicht retten. Elektromobilität kann und muss ein Ansatz für die Zukunft sein, das ist klar. In unserem aktuellen Focus Special (25/19) widme ich mich gemeinsam mit der Redaktion der Lust und dem Drang der (auto-)mobilen Veränderung. Wir zeigen, wie sich die großen deutschen Auto-Konzerne zu Mobilitätsanbietern wandeln, sprechen mit Akteuren und Gestaltern, befassen uns aber selbstverständlich auch mit den aufkommenden E-Scootern und neuen Wegen für den Fahrradverkehr. Die Kernbotschaft: Mobilität muss als System betrachtet werden, das Gesellschaft, Infrastruktur und vieles mehr umfasst, das vernetzt ist mit so ziemlich allen Dingen, die uns heutzutage bewegen.

Ich halte es übrigens mit Nico Rosberg, den ich zum Interview für das Special getroffen habe: Ich bin kein Öko-Papst, bin Teil des Problems. Aber, und genau darum geht es neben all dem Technologischen, Einsicht ist tatsächlich schon der erste Schritt zur Besserung. Und ein wenig Mut und Vertrauen.

In dem Sinne, bitte mutig wenden!

Das 48-seitige E-Mobility-Special ist am 15. Juni erschienen und dem Nachrichtenmagazin Focus beigelegt. Der Copypreis für beide Hefte beträgt 4,50€.

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Weitere Impressionen & Downloads

Das Cover des ersten "E-Mobility"-Specials von Focus

Neben vielen E-Auto-Highlights für das Jahr 2019 enthält das Special auch eine Einordnung zum oft diskutierten Thema "Ökobilanz" von E-Fahrzeugen 

Außerdem beleuchtet die Heft-im-Heft-Ausgabe den Wandel von Auto-Konzernen hin zu Mobilitätsanbietern

Auch der ehemalige Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg kommt zu Wort und erzählt unter anderem wie er zum Gründer eines Nachhaltigkeitsfestivals wurde

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