Wie eine einzigartige Burda-Erfindung die Freizeit-Gestaltung am Kiosk revolutioniert hat und warum ein eigenes Marken-Generikum über Nacht der dreisten Copy-Paste-Konkurrenz Paroli bieten musste!
Was ist Kreativität? Für die meisten Menschen liegt die Antwort auf diese Frage irgendwo zwischen Buntstift-Palette, improvisierten Nudelpfannen, die man aus den Kühlschrankresten zusammenwirft, und Stellenanzeigen, die „kreative Herausforderungen“ versprechen. Der Duden definiert Kreativität als „die Eigenschaft eines Menschen, schöpferisch oder gestalterisch tätig zu sein“. Ziemlich abstrakt. Auf der Suche nach einer konkreten Antwort besuchen wir die Expert:innen für Kreativität bei Burda: In Berlin treffen wir Michael Pfötsch, Creative Principal bei C3. Seine Antwort nimmt uns mit auf eine Reise.
Stell dir vor, du bist Kapitän auf einem Boot, mitten auf dem weiten Ozean. Du steuerst das Boot und entscheidest, wohin du fährst und auch, wie schnell du fahren willst. Aber du weißt nicht, wo du hinwillst. Du suchst einen Kurs, aber siehst weder Land noch einen Fixpunkt. Im Ozean schwimmt ein Wal, tief im Wasser, weit unter dir. Immer wieder taucht der Wal auf und zeigt dir die Richtung. Du kannst ihn rufen, aber oft hört er dich nicht. Der Wal kennt dich gut. Wann er auftaucht, weiß du nicht, aber manchmal schwimmt er ganz plötzlich direkt vor dir. Und dann weißt du endlich, wohin.
Die Geschichte will uns etwas über die Bedeutung von Kreativität erzählen. „Kreativität hat eigentlich nichts mit einer Handlung zu tun, sondern mit dem Prozess der Ideenfindung“, sagt Michael. Im Mittelpunkt stehen zwei Gegensätze, die wir alle in uns tragen: Rationalität und Kreativität. In der Geschichte steht der Kapitän für die Rationalität. Der Wal symbolisiert die Kreativität, unser Bauchgefühl, das irgendwo in unserem Unterbewusstsein, dem Ozean, liegt. Aber beginnen wir von vorn.
Michael ist Designer. Aber er ist auch Dienstleister. Sein Alltag als Creative Principal bei C3 besteht darin, für Kunden außergewöhnliche Ideen zu entwickeln – die am Ende auch verkauft werden sollen. Wenn Michael also eine Idee entwickelt, hat das – anders als bei manchen Künstler:innen – immer einen konkreten Zweck, ein Ziel. Der rationale Teil seiner Arbeit besteht darin, Fristen einzuhalten, Kund:innen zufriedenzustellen, auf Wünsche einzugehen; Geld zu verdienen. Auch dieser Part des Jobs ist Teil des kreativen Prozesses. Ob das kein Widerspruch ist, fragen wir. Muss Kreativität nicht frei sein? „Doch“, sagt Michael und schmunzelt. „Nur zur richtigen Zeit.“
Um einen Auftrag umzusetzen, geht es los mit Input sammeln: recherchieren, informieren, das Unternehmen kennenlernen, das Produkt verstehen, mit Expert:innen sprechen, Branchenmeinungen einholen. In kurzer Zeit muss Michael so viel Wissen wie möglich aufsaugen. Er muss selbst Experte auf dem Gebiet werden. Das ist wichtig. Und kompliziert; denn der nächste Schritt zur Idee ist: Michael muss alles wieder vergessen.
Erst da beginnt der kreative Moment. Das ist Zwickmühle und Problemlösung zugleich. „Ich habe gerade alle Infos verinnerlicht, die ich mir mühsam angeeignet habe. Mein Kopf ist voll, ich habe so viel in mir aufgesogen. Aber genau das wird zum Problem, wenn man kreativ ist.“ Denn das Rationale, die Wünsche des Kunden, die Deadline für den Pitch, persönliche Ängste oder Befindlichkeiten von Kolleg:innen stören den kreativen Moment. Mehr noch: „Rationalität macht unkreativ.“ Für diesen Teil des Prozesses muss man frei sein. Das heißt, das Wissen in den Hinterkopf packen und abwarten. „Ohne Übung ist das irrsinnig schwer. Aber ohne Loslassen keine Kreativität“.
Im Ozean hat der Wal das Sagen. Hier ist sein Zuhause. Als Kapitän fährst du umher und suchst deine Route. Du sammelst Anhaltspunkte, saugst sie in dir auf. Der Wal ruht tief in deinem Unterbewusstsein. Je besser du ihn vorher fütterst, desto eher taucht er auf. Kreativität kannst du nicht abrufen: Manchmal blickst du eine Ewigkeit auf die wogende Wasseroberfläche. Du wartest und wartest, das Boot treibt umher. Du leerst den Kopf, schweifst ab. Und dann taucht der Wal auf. Da ist deine Idee, aus den Tiefen deines Unterbewusstseins erwacht.
Wenn der Wal auftaucht und die zündende Idee in Michaels Kopf schießt, sitzt er meistens nicht am Schreibtisch. Er steht unter der Dusche, liegt im Bett, kurz bevor er einschläft, oder er spaziert mit seiner Hündin Inoa durch Berlin. Unerwartet poppt die Idee auf. Und dann muss es schnell gehen: Michael behält sein Handy oder einen Notizblock immer in Reichweite, um seine Gedanken festzuhalten. Ein erster Satz, manchmal nur ein Wort. „Viele kennen das aus ihrem Alltag: Man kramt tief im Kopf nach einem Detail aus der Vergangenheit, zum Beispiel nach dem Namen eines ehemaligen Mitschülers. Je intensiver man darüber grübelt, desto weiter rückt die Antwort in die Ferne. Wenn man nicht mehr nachdenkt, dann ist der Name irgendwann plötzlich da.“ Der kreative Moment ist der schnellste im ganzen Prozess. Wenn der Wal aufgetaucht ist, erkennt der Kapitän sofort die Richtung; er kann Fahrt aufnehmen. Es folgt die Ausarbeitung der Idee. „Der Teil, der dann kommt, fordert kaum noch Kreativität. Das ist nur noch Handwerk“, sagt Michael.
Also, was ist nun Kreativität? „Kreativität ist für mich, eine Lösung zu finden, die überrascht“, sagt Michael. Eine Idee, die neue Aspekte ans Licht bringt. Ein Thema, das man so weit durchdringt, bis sich die Frage stellt: Was erwartet die Zielgruppe? Die Lösung sollte so weit wie möglich davon entfernt sein. Kreativität ist der Aha-Moment, der sich am Ende ganz logisch anfühlt. „Im besten Fall verkaufe ich am Ende keine Idee, sondern erzähle dem Kunden eine Geschichte“. Und warum eine Geschichte? Aus demselben Grund, aus dem Menschen Geld für Kino, Konzerte oder Bücher bezahlen. Weil Geschichten Macht haben. Die einzigartige Macht, uns zu fesseln und zu entflammen. Wir hören lieber eine Geschichte als eine abstrakte Erklärung. Geschichten sind in unserer Spezies verankert, seit unsere Vorfahren am Lagerfeuer saßen und fast nur von Geschichten gelebt haben. Nichts anderes tun Michael und seine Kolleg:innen in ihrer täglichen Arbeit. Wenn die Geschichte gut ist, erleben auch Kunde und Zielgruppe den Aha-Effekt. Aber urteilt selbst: Ein Wal, der das Konzept von Kreativität erläutert – das ist einigermaßen überraschend, oder?
Der Wal ist gut gefüttert. Du wartest eine Ewigkeit. Aber er taucht nicht auf? Alles eine Frage des Trainings! Wenn du denkst, du hast keinen inneren Wal: Du irrst dich. Wir alle tragen ihn in uns; manche von uns haben nur verlernt, auf ihn zu hören. Im zweiten Teil des Interviews erfahrt ihr, wie wir lernen können, der Intuition unseres Wals zu folgen, warum dazu eine gute Portion Mut gehört und wieso wir manchmal auch anderen Walen begegnen müssen. Demnächst auf Burda.com.