Focus
17.02.2025

„Am Dienstag nach der Wahl brennt hier die Luft“

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Es ist Mittwochvormittag, und das Handy von Markus Hurek klingelt wieder und wieder. Kurz vor Redaktionsschluss geht es in den Berliner Räumen der Redaktion des Focus Magazins hektisch zu. Doch nicht nur das nächste Heft muss fertig werden – besonders für das Innenpolitik-Ressort sind die Wochen bis zur Neuwahl anstrengend. Als Ressortleiter nimmt sich Markus trotzdem Zeit, uns zu erzählen, wie Politikjournalist:innen arbeiten und wie sie neutral bleiben, auch in Zeiten, in denen die politischen Diskussionen im Land immer polarisierter geführt werden.  

„Politische Bewegung ist unser Alltag“

Auch wenn die Politikredaktion des Focus regelmäßig über Landtagswahlen und Bundestagswahlen berichtet – die vorgezogene Neuwahl im Februar 2025 ist dennoch eine Herausforderung. Wenig Zeit zur Vorbereitung. Viele Termine. Noch mehr hitzige Debatten in Bundestag und Gesellschaft. „Es gab kein Gefühl von ‚Huch, Neuwahlen!‘ Wir haben als Redaktion ja immer ein Auge auf die politischen Entwicklungen und haben spätestens Ende 2023 geahnt, dass die Ampel-Koalition instabil ist“, sagt Markus. Trotzdem bedeute ein unerwarteter Wahlkampf, dass sich die Redaktion kurzfristig auf einen intensiven Berichterstattungsmodus umstellen müsse. 

Dazu gehört auch eine straffe Organisation: „Unsere Redaktion trifft sich jeden Morgen um 9 Uhr zur Konferenz, um über aktuelle Themen und Planungen zu sprechen. Kurz vor den Wahlen erhöht sich die Schlagzahl. Es gibt mehr Gespräche, mehr Recherchen und mehr Analysen“, sagt Markus. Für die Kolleg:innen ist die Wahlkampfzeit eine spannende Phase. „Wer sich dafür entscheidet, Politik journalistisch zu bearbeiten, muss auch Lust auf lange Abendtermine und Wahlsonntage haben“, erklärt er. 

Der schmale Grat zwischen Neutralität und Haltung

Die Neutralität in der Berichterstattung ist gerade in Wahlkampfzeiten essenziell – und gleichzeitig eine Herausforderung. „Wir unterscheiden klar zwischen Nachricht und Kommentar“, betont Markus. Während die Nachricht objektiv sein muss, gibt es im Focus Raum für Meinungsbeiträge, etwa in Kolumnen oder Leitartikeln. Doch ein:e gute:r Politikjournalist:in müsse immer darauf achten, sich nicht von populistischen Erzählungen oder Emotionen treiben zu lassen. „Wir dürfen nicht zu Aktivisten werden – unsere Aufgabe ist es, einzuordnen und die Fakten zu präsentieren.“ Journalist:innen stellten politische Botschaften infrage und sollten sich niemals zum Instrument einer Kampagne machen, sondern kritisch hinterfragen, einordnen, recherchieren – damit sich die Leserinnen und Leser selbst ein Urteil und eine Meinung bilden können. 

Politik und Medien – eine besondere Beziehung

Die Zusammenarbeit zwischen Politiker:innen und Journalist:innen folgt bestimmten Regeln. Neben offiziellen Terminen wie Bundestagsdebatten und Pressekonferenzen gibt es sogenannte Hintergrundkreise, in denen sich beide Gruppen untereinander informell austauschen – „Unter 3“ genannt. „Hier geht es nicht darum, exklusive Schlagzeilen zu generieren, sondern darum, politische Vorgänge besser zu verstehen“, erklärt Markus. Wer sich nicht an die Vereinbarungen der strikten Vertraulichkeit hält und vertrauliche Informationen aus diesen Runden veröffentlicht, verliert schnell den Zugang. 

Politische Berichterstatter brauchen für ihre Arbeit die Nähe zur Politik, dennoch müssen sie sich ihrer Kontrollfunktion immer bewusst sein. „Wir haben eine verfassungsrechtlich geschützte Aufgabe – wir beobachten und analysieren, ob politische Macht sauber eingesetzt wird“, sagt Markus. Eine „Symbiose“, wie es manchmal heißt, gebe es nicht: „Wir sind nicht dazu da, Politikerinnen und Politikern zu helfen, sondern ihre Arbeit kritisch zu hinterfragen.“ 

Social Media als Gamechanger

Soziale Medien haben die politische Berichterstattung massiv verändert. „Früher informierten Abgeordnete ihre Wählerinnen und Wähler mit Pressemitteilungen oder Newslettern. Heute haben Politiker und Politikerinnen eigene Social-Media-Teams, die rund um die Uhr Inhalte produzieren“, sagt Markus. Das bedeutet auch, dass sich Journalist:innen nicht mehr nur auf klassische Pressekanäle verlassen können, sondern aktiv Social Media beobachten müssen. 

Eine der größten Herausforderungen sind die Algorithmen. „Plattformen bevorzugen konfrontative Inhalte, was Parteien mit polarisierenden Botschaften einen Vorteil verschafft“, erklärt Markus. „Die AfD etwa versteht es hervorragend, skandalisierende Inhalte auszuspielen – das macht es anderen Parteien schwerer, mit ausgewogenen Botschaften durchzudringen.“ Für Journalist:innen bedeute das, sich noch kritischer mit den Mechanismen von Social Media auseinanderzusetzen. 

Warum der Dienstag nach der Wahl entscheidend ist

Der Sonntag liefert die Wahlergebnisse, doch am Montag und Dienstag beginnt die eigentliche Arbeit für die Redaktion. „Am Dienstag nach der Wahl brennt hier die Luft, weil sich dann klärt, was wirklich relevant ist“, erklärt Markus. Während Online-Medien in der Wahlnacht minütlich neue Entwicklungen verbreiten, muss der Focus als Wochenmagazin mit Redaktionsschluss am Mittwoch strategisch entscheiden, welche Geschichten Bestand haben. Da das Heft freitags erscheint gilt es, erste Statements der Parteien, neue Mehrheitsverhältnisse und mögliche Koalitionen fundiert einzuordnen. „Wir müssen die Ereignisse so präsentieren, dass unsere Leserinnen und Leser nicht nur informiert, sondern auch mit einer nachhaltigen Perspektive versorgt werden“, sagt Markus. Die Redaktion steht vor der Aufgabe, die relevantesten Geschichten zu recherchieren. 

„Es gibt nichts Langweiligeres, als wenn nichts passiert.“

Für Politikjournalist:innen bedeutet eine Wahl eine besonders intensive, spannende Zeit. Die Arbeit der Kolleg:innen ist geprägt von kontinuierlicher Beobachtung, sorgfältiger Vorbereitung, guten Kontakten, tiefen Hintergrundinformationen und der Herausforderung, in polarisierten Zeiten neutral zu bleiben. Soziale Medien haben die politische Landschaft verändert, doch die Grundprinzipien des Journalismus – Fakten, Neutralität und Kontrolle der politischen Macht – bleiben unverändert. „Wir sind immer im Dauerstressmodus“, sagt Markus. Doch genau das macht für ihn den Reiz dieses Berufs aus: „Es gibt nichts Langweiligeres, als wenn nichts passiert.“

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Impressionen aus dem Redaktionsalltag

Austausch unter Kollegen: Markus Hurek mit Politikredakteur Felix Heck ©Hubert Burda Media

Die Focus-Redaktion verfolgt die US-Wahlnacht mit Spannung - zum Glück gibt es Nervennahrung  © Hubert Burda Media

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