Ohne das ehrenamtliche Engagement des gesamten Teams wäre die Christian-Liebig-Stiftung e.V. heute nicht das, was sie ist. Das neue Vorstandsmitglied Ute Woratsch erzählt, was ihr das Engagement bedeutet.
Die Christian-Liebig-Stiftung e.V. feiert ihr 20-jähriges Jubiläum. Und man feiert das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn die Gründung selbst hat einen traurigen Anlass: 2003 kam der damalige Lebensgefährte von Beatrice von Keyserlingk, der Focus-Journalist Christian Liebig, im Alter von 35 Jahren bei einem Bombeneinschlag in einem US-Quartier in Bagdad ums Leben. Um der Trauer etwas Hoffnungsvolles entgegenzusetzen, gründete Beatrice unter seinem Namen mit dem damaligen Focus-Chef Helmut Markwort die Christian-Liebig-Stiftung e.V., die Bildungsprojekte in Afrika unterstützt. Im Interview spricht die Gründerin und Vorstandsvorsitzende über das Erreichte und darüber, wie dieses ehrenamtliche Projekt ihr Leben und das vieler anderer verändert und verbessert hat und wie Burda sie da seit Jahren verantwortungsvoll unterstützt.
Wow - und wie die Zeit verfliegt.
Zufriedenheit - wir haben so viel Großartiges geschafft und haben noch viele Pläne.
Stolz - auf das Team der Christian-Liebig-Stiftung und das Erreichte.
Die Idee, in irgendeiner Form in Afrika zu helfen, kam in mir interessanterweise das erste Mal hoch, als ich 7 Jahre alt war. Meine Großmutter hatte Afrikaner zu Besuch - aus welchem Land weiß ich heute nicht mehr - und ich war so fasziniert, dass ich damals beschloss, in jedem Fall auf diesem Kontinent tätig zu werden. Darüber habe ich dann auch viel mit Christian gesprochen. Was gute Entwicklungshilfe bedeutet, wie man auf Augenhöhe agiert, nicht nur Almosen verteilt, sondern wie man sich wirklich nützlich und nicht nur wichtig macht. Für Malawi entschieden wir uns, weil es sich schon damals seit Jahren auf der Liste der ärmsten Länder der Welt immer ganz oben befand, seine Stabilität und Friedlichkeit uns aber besonders ansprach. Wir wollten als Neulinge nicht in einem Land tätig werden, in dem man riskiert, dass einem die erste Aktion nach Fertigstellung gleich wieder niedergebrannt wird oder man plötzlich nicht mehr dorthin reisen kann. Und nachdem wir die ersten Projekte erfolgreich abgeschlossen hatten, waren uns Land und Leute so ans Herz gewachsen, dass wir dort geblieben sind.
Mein Leben hat sich durch die Stiftungsarbeit völlig verändert. Zum einen war es natürlich aktive Trauerarbeit. Durch die intensive Beschäftigung mit Christian im Rahmen der Entwicklungshilfe hatte ich irgendwie ein freies Gefühl, um mein persönliches Leben wieder etwas ungetrübter anzugehen. Aber es war auch die Zeit, in der ich das Gefühl hatte, tatsächlich erwachsen zu werden. Ich traf und treffe fantastische Menschen. Lerne noch immer täglich dazu. Allerdings wären damals ohne die Unterstützung von Herrn Markwort und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern quer durch das Burda Verlagshaus diese Pläne vermutlich ein Traum geblieben. Von juristischer Hilfestellung bis hin zu Presseberichten in den Burda-Medien - wir hätten diese Arbeit niemals in dieser Form beginnen und begleiten können. Und noch heute, nach 20 Jahren, begeistern sich immer wieder auch neue Menschen im Haus für unsere Sache und stehen uns zur Seite. Die Verbindung zu Hubert Burda Media war und ist auf lange Sicht sicher unsere wichtigste und kontinuierlichste Unterstützung in allen möglichen Belangen.
Mit Julios Mutter hatten wir direkt nach dem Unglück Kontakt, aber dann lange Zeit nicht mehr. Vor etwa zwei Jahren schrieb sie mir wieder, und so wuchs die Idee, sie zu besuchen und diesen 20. Todestag unserer beiden Lieben gemeinsam zu begehen. Julios und Christians Freundschaft war die letzte, die diese beiden in ihrem Leben geschlossen haben und das verbindet auch unsere Familien. Sie hat sich unglaublich darüber gefreut und mich zu sich nach Hause eingeladen, um mit ihr die Ostertage in Córdoba zu verbringen. Der Journalistenpreis in Julios Namen wird dort bereits seit vielen Jahren vergeben. Immer am 7. April - auch dieses Jahr, wo der 7. auf den Karfreitag fällt - werden Nachwuchsjournalisten geehrt. An jemanden, der weder Mühe noch Gefahr fürchtet, um uns von der Realität zu berichten.
Vor 20 Jahren zerfiel durch ihren Tod die Welt für die Familien von Julio Anguita Parrado und Christian Liebig in ein „Vorher“ und ein „Nachher“. Was hätte aus den beiden werden können? Das werden wir nie erfahren. Julios und Christians Freundschaft war die letzte in ihrer beider Leben. Christian hatte mir noch von Julio erzählt. Dass er ihm immer sein Satellitentelefon zur Übertragung seiner Reportagen geliehen hat, weil das des spanischen Journalisten aufgrund zu hoher und deswegen leicht zu ortender Strahlung vom US-Militär aussortiert worden war. Die beiden haben sich in dieser doch auch sehr belastenden Situation sehr gut verstanden und sich gegenseitig unterstützt.
Der Besuch in Spanien war sehr emotional. Julios Mutter Antonia hatte mich schon vorgewarnt, viel zu weinen, aber mir ging es nicht anders. Ich denke viel an Christian. Die ersten Jahre hat das unglaublich weh getan. Manchmal sprang mich der Schmerz geradezu wie aus dem Hinterhalt an. Heute denke ich oft mit ein bisschen Wehmut, aber vor allem mit viel Dankbarkeit an ihn zurück. Dankbarkeit für die Zeit, die wir gemeinsam hatten. Dankbarkeit für das, was wir heute in seinem Namen tun dürfen und können. Es gibt kaum die „Was-wäre-wenn“-Gedanken. Ich bin wieder sehr zufrieden geworden mit meinem Leben. Glück ist ja immer nur eine Momentaufnahme, aber davon habe ich Gott sei Dank viele. Oft in Malawi, aber auch hier zuhause.
Meine Familie. Ich habe ein sehr enges und liebevolles Verhältnis zu meinem Vater und seiner Frau und zu meinen Geschwistern. Meine Freunde, die ja zum großen Teil auch Christians Freunde waren, standen mir sehr zur Seite und tun das bis heute. Ich war, wenn ich es nicht ausdrücklich wollte, nie allein. Und ich konnte und durfte trauern, auch gemeinsam mit ihnen. Ich habe viel darüber gesprochen. Das half meiner Psyche sehr: mich nicht zu vergraben und mich nur in möglichst kurzen Intervallen in depressiver Stimmung zu befinden. Nicht zuletzt waren auch Christians Kollegen und Herr Markwort sehr für mich und auch für Christians Eltern da.
Mein Arbeitgeber ist immer noch derselbe wie damals. Meine Kollegen kannten Christian und waren damals dabei, als ich erfuhr, was passiert war. Mein Chef nimmt Anteil an der Entwicklung, spendet auch immer wieder an die CLS und ist recht flexibel, wenn ich überraschend abkömmlich sein muss. Ich versuche aber, das meiste langfristig zu planen, damit es mit meinem Vollzeit-Job zu vereinbaren ist.
Wirklich abschließen kann man glaube ich nie, das ist auch nicht nötig. Diese Vergangenheit ist ein wichtiger und auch glücklicher Teil von mir, der mich auch zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Ich fühlte mich, was das Einlassen auf eine neue Beziehung angeht, nie blockiert. Aber ich war eigentlich auch immer ein ganz zufriedener Single. Eine Beziehung muss mich glücklicher machen, als ich es allein bin. Und das ist schon ein hoher Anspruch. Das hatte Christian geschafft. Deshalb weiß ich, wie sich das anfühlen muss. Mit meinem neuen Partner ist das auch so. Ich bin seit fünf Jahren in einer neuen Beziehung mit Franz, einem Landwirt. Er unterstützt mich auch in meiner Stiftungsarbeit. Ich kann bei ihm ganz ich selbst sein, ohne mich verbiegen zu müssen und auch er kann ganz er selbst sein in unserem Zusammenleben. Genau wie bei Christian verband mich mit ihm schon vorher eine sehr lange Freundschaft und wir haben viele gemeinsame Freunde. Auch das schafft Innigkeit und Vertrautheit.
Nach Afrika begleitet hat er mich (noch) nicht - das muss auch nicht sein, das sind wirklich keine Vergnügungsreisen. Da mache ich lieber woanders Urlaub mit ihm. Aber er unterstützt mich sehr. Er interessiert sich sehr für unsere Themen, hat auch einen größeren Betrag für das Mtakataka-Mädchenwohnheim gespendet und unterstützt gemeinsam mit mir mein Patenkind Florence, die inzwischen auch schon eine junge Frau ist.
Ein Höhepunkt war damals sicher unser erstes Projekt, die CLSS (Christian-Liebig-Sekundarschule). Weil diese Schule erst mal das steingewordene Manifest dafür war, dass unser Traum kein Hirngespinst war. Dass wir es geschafft hatten, eine komplette Schule auf einem staubigen Gelände im Nirgendwo zu bauen. Seitdem haben wir glücklicherweise jedes Projekt zu Ende gebracht. Immer in vertrauensvoller Partnerschaft mit den jeweiligen Gemeinden. Wir denken uns keine Projekte aus, sondern erarbeiten mit den Menschen vor Ort, was sie brauchen und was sie bereit sind, dazu beizutragen. Die Mädchenwohnheime sind die Projekte mit dem am meisten messbaren, unmittelbaren Mehrwert - das macht große Freude. Die dort lebenden Mädchen und jungen Frauen sind einfach viel erfolgreicher, da sie keine langen Schulwege zurücklegen müssen und dort unter sicheren Bedingungen untergebracht sind. Rückschläge hatten wir bislang „nur“ in Form von unbeeinflussbaren Naturereignissen: Dürreperioden, Überflutung und Taifune - wie aktuell Mitte März der „Zyklon Freddy“, der eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat mit sintflutartigem Regen. Hier fühlen wir sehr mit unseren Freunden und Partnern in Malawi und versuchen dann auch, möglichst unbürokratisch und schnell Hilfe zu leisten, mit Unterstützung von unserer Vertreterin vor Ort, Janet Phillips.
Dieses Jahr muss ich mir ein bisschen mehr Zeit für die Reise nach Malawi nehmen. Wir wollen alle unsere größeren Projekte besuchen und an unserem Flaggschiff, der CLSS, ein großes Fest zum 20-jährigen Bestehen der Schule und der Stiftung feiern. Und hoffentlich können wir dann auch unser größtes Einzelprojekt seit unserer Gründung, die Liwiro-Sekundarschule, einweihen. Es wird vermutlich viel traditionell gesungen und getanzt und alle Beteiligten halten unter sehr heißer Sonne viele Reden. Meist tragen die Kinder auch poetische Texte und Gebete vor und führen Theaterstücke auf. Vorführende und Zuschauende sind immer gleichermaßen aufgeregt und beglückt. Es ist stets ein Eintauchen in eine ganz andere Welt. Und so gut ich diese inzwischen auch kenne: Es bleibt immer unheimlich spannend.