Felix Kalkum steht vor einer großen Aufgabe: Als neuer Geschäftsführer von BurdaSolutions tritt er in Gerhard Thomas‘ Fußstapfen. Wer ist der promovierte Physiker, der als Kind das Programmieren liebte und im Auto das B…
Du sitzt am Schreibtisch, den Stift in der Hand, während deine Gedanken wild umherkreisen. Du kritzelst etwas auf den Notizblock, nur um es Sekunden später wieder zu verwerfen. Und die bahnbrechende Idee? Die bleibt aus. Warum? Dein Wal ist nicht aufgetaucht. Ein Wal, fragst du dich? Genau, richtig gelesen. Was dieser gewaltige Meeresbewohner mit Kreativität zu tun hat, findest du in Teil 1 unserer Kreativitätsserie – ein absolutes Muss, bevor du hier weiterliest.
Mit der Wal-Analogie erklärt Michael Pfötsch, Creative Principal von C3, wie Kreativität sich entfaltet und neue Ideen entstehen. Seine Botschaft: „Jede:r von uns kann kreativ sein.“ Doch warum fliegen manchen die Ideen zu, während andere sich abmühen? Die Lösung ist wie ein gutes Rezept: Wie in der Küche brauchen wir die richtige Umgebung, die besten Zutaten und ein bisschen handwerkliches Geschick, damit etwas Gutes entsteht. Genauso verhält es sich mit der Kreativität: je besser die Bedingungen und Fertigkeiten des Ideenentwicklers, desto brillanter die Einfälle.
Wir wollten von Michael wissen, welche Zutaten braucht es, um die Kreativität zu entfachen? Sein Geheimrezept: eine Portion Selbstvertrauen, ein Schuss Mut, ein vorurteilfreies Umfeld sowie eine Prise Erfahrung.
„Unsere Ideen sagen viel über unsere Persönlichkeit aus“, erklärt Michael. Sie spiegeln unsere Erinnerungen und Erfahrungen wider. Deshalb kann eine Idee viel über ihren Schöpfer preisgeben. Das führt oft dazu, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir von anderen wahrgenommen werden.
Dann laufen wir auf Eierschalen, aus Angst, etwas „Falsches“ zu sagen. „Davon müssen wir uns frei machen“, betont Michael. „Das, was wir dann sagen, unterliegt so vielen Filtern, dass es nicht mehr das Eigentliche ist. Und das, was wir eigentlich sagen wollten, bleibt verborgen.“ Das Vertrauen in sich selbst – in die eigenen Fähigkeiten – ist dabei entscheidend. „Als Kreativer darfst du keine Angst vor einer Reaktion haben. Angst macht unkreativ.“
Für Ideen muss man mutig sein und seine Gedanken teilen, ohne Sorge darüber, wie die Kolleg:innen wohl reagieren mögen. Das kann schnell ungemütlich werden: Ein Teammitglied pitcht eine Idee und du spürst, das wird ein Flop. Kreative müssen ehrlich miteinander sein und den Mut haben, Wahrheiten auszusprechen. „Das mag oft nicht bequem sein. Es schüchtert andere ein, weil wir es nicht mehr gewohnt sind.“. Eine Reaktion, ein Gedanke, eine Meinung, die in uns schlummert, muss im kreativen Prozess ans Licht. „Wenn du nicht deine ehrliche Meinung sagen kannst, weil du Sorge hast, wie das bei anderen ankommt, hilft das niemandem“, so Michael.
Als Kinder fiel es uns leicht, das zu sagen, was wir denken. Hierhin müssen wir wieder zurückkommen, so Michael. „Die erste intuitive Reaktion auf etwas ist immer die richtige. Wie bei einem Kind – unreflektiert, ungefiltert und deshalb wahr“, sagt Michael. Die Antwort ist irgendwo in uns – wir müssen nur lernen, sie zu hören, und den Mut und das Selbstvertrauen haben, sie mit dem Team zu teilen.
Damit das im Alltag funktioniert, braucht es vor allem eines: eine aufgeschlossene und freie Umgebung. „Die muss unausgesprochen da sein“, betont Michael. Alle, die am kreativen Prozess beteiligt sind, müssen wissen, dass nichts vom Gesagten dazu dient, jemanden zu verletzen oder zu bewerten. „Ehrliche Kommunikation funktioniert am besten, wenn man sich so gut kennt, dass man weiß: Egal was ich sage, nichts kann passieren.“ Es braucht psychologische Sicherheit. Denn am Ende geht es um die Sache an sich – um das Projekt, das Konzept und die Idee. Je besser wir uns kennen, desto besser können wir einander einschätzen und desto sicherer fühlen wir uns. Teambuilding eben.
Schwieriger wird es in der Praxis, wenn unterschiedliche Rollen und Hierarchieebenen in einem kreativen Prozess aufeinandertreffen. Damit kommen auch soziale Zwänge. Was, wenn die Idee, bei der sich unser Bauch zusammenzieht, von unserer Führungskraft kommt? Michael sagt: „Hierarchien sind Gift“. Ein Machtgefälle hat bei kreativen Prozessen keinen Platz. Es darf keine Rolle spielen, wie viel Erfahrung jemand hat oder in welcher Position er oder sie ist. Beim C3 Brainstorming ist deshalb jede Idee willkommen – sogar erwünscht.
Wie in einer Küche garantieren die Zutaten allein noch kein gutes Essen. Es kommt auch auf das handwerkliche Geschick des Koches an: Er muss wissen, wie lange das Gemüse im Ofen bleiben muss, bis es gar ist, ohne zu verbrennen. Ebenso muss er in der Lage sein, das Gericht so zu würzen, dass der Geschmack optimal zur Geltung kommt, es aber nicht versalzt. Ähnlich ist es bei der Kreativität. Selbst wenn die Bedingungen stimmen, müssen wir wissen, richtig mit den Zutaten umzugehen. Was müssen kreative Köpfe tun, damit die beste Idee ans Licht kommt?
„Um weiterzukommen, muss man Dinge ausselektieren und darüber diskutieren können“, sagt Michael. Das gehe am besten, wenn man sich vor Ort trifft. „Ich darf mich im kreativen Prozess nicht eingeengt fühlen. Das kann für mich nicht im digitalen Raum stattfinden.” Regelmäßig trifft er sich deshalb mit seinen Kolleg:innen im Büro. Wichtig für ihn ist: persönliche Ansprache, fern von eintrudelnden E-Mails und mit viel Platz zum Bewegen.
„Gerade wenn man im Kopf feststeckt, hilft Bewegung. Nur so löst sich die Anspannung darin“, erklärt Michael. So könne es auch mal vorkommen, dass er mit seinen Kolleg:innen spazieren geht oder schweigend im Konferenzraum umherläuft. Auch das gehört für ihn zum kreativen Prozess dazu. Es gehe darum, neue Perspektiven einzunehmen. In welcher Form auch immer – im Gespräch mit Kolleg:innen oder durch das Anschauen der Werbung am vorbeifahrenden Bus auf der Friedrichsbrücke oder dem Betrachten des fließenden Wassers in der Spree. Dieser neue Input wecke in uns Gefühle, Erinnerungen, Impulse, die Ideen aus uns herauskitzeln.
Aber was, wenn es schneller gehen muss? Als Mitarbeiter in einer Kreativagentur ist Michael ständig mit hohen Erwartungshaltungen konfrontiert. „Alle erwarten, dass man sofort eine Antwort, eine Lösung parat haben muss“, sagt Michael. „Das ist totaler Blödsinn. Wenn das so wäre, dass man auf Knopfdruck gute Ideen entwickeln könnte, dann wären sie auch nicht so verdammt teuer.“ Die Realität ist: Niemand kann Ideen aus dem Ärmel schütteln. Schließlich soll etwas Neues geschaffen werden. Etwas, das es so bislang noch nicht gibt.
Und was ist mit Künstlicher Intelligenz? Apps wie ChatGPT gehören zum Berufsalltag. Können wir die aufstrebende Technologie dafür nutzen, um schneller an neue Ideen zu kommen? Michael hat dazu eine klare Meinung; er sieht Kreativität als Prozess, der sich auch durch Technologien wie künstliche Intelligenz nicht beschleunigen lässt: „KI liefert nicht Input, sondern nur Output. Sie kann nur etwas produzieren, aus dem, was man ihr gibt“, so Michael. Für ihn ist das der große Unterschied zwischen echter kreativer Leistung und dem, was KI macht: Kreativität kommt von innen heraus, auf Basis der eigenen Erfahrungen, Persönlichkeit und Einstellungen. Indem wir Bekanntes in neue Zusammenhänge bringen, kreieren wir etwas Neues. Etwas, das eine künstliche Intelligenz nicht kann.
Umso wichtiger ist es, sich selbst zu verteidigen und die Zeit, die man braucht, um eine neue Idee zu entwickeln. Dem Gegenüber klarzumachen, dass man das Problem versteht, aber Zeit braucht, um eine Lösung zu finden. Kreativität funktioniert nicht unter Zeitdruck. „Wir müssen uns von diesem Druck befreien“, betont Michael in unserem Gespräch immer wieder: „Wenn wir den Wal jagen, kommt er nicht.“
Womit wir wieder beim Thema wären: sich Zeit nehmen, sich bewegen, mit anderen reden – sich frei machen. „Es ist alles in uns. Ich weiß, das klingt so poetisch, ist aber ganz logisch. Alles, was du je wahrgenommen oder erlebt hast, ist in dir: Es kann ein Geschmack sein, eine Melodie oder eine Erinnerung, die etwas in uns auslöst und den Wal auftauchen lässt. Und wenn ich eines in meiner Karriere gelernt habe, dann ist es, dass der Wal immer auftaucht, man muss ihm nur Zeit geben.“