Forum Focus Gesundheit
02.03.2023

Diese Krankenhaus-Notstände betreffen uns alle

Die Missstände in den deutschen Krankenhäusern, die durch die Corona-Pandemie besonders schonungslos zutage kamen, gehen uns alle an. Denn viele von uns sind früher oder später, direkt oder indirekt, davon betroffen, wenn wir selbst oder unsere Angehörige mal in eine Klinik müssen.

Um als Medienunternehmen, das den gesamten Komplex der Gesundheitsthematik über Jahre zu einer journalistischen Kernkompetenz gemacht hat, auf diese Notstände aufmerksam zu machen, gab es gestern in der Münchner Burda Bar das erste „Forum Focus Gesundheit“, zu dem Oliver Eckert, BurdaForward-CEO und Co-CEO BurdaVerlag, (u.a. für Health) die Gäste begrüßte.

Wir machen Deutschland gesünder


 „Als führendes Medienhaus für das Thema Gesundheit haben wir bei Hubert Burda Media den Anspruch, nicht nur kritisch über Missstände, sondern auch konstruktiv über Lösungen zu berichten. Dazu suchen wir den Austausch mit den führenden Köpfen in Ärzteschaft, Apothekerschaft, Politik und Gesellschaft und bieten ihnen eine Bühne zum Meinungsaustausch. Das erste Forum Focus Gesundheit ist ein kleiner und gleichwohl wichtiger Teil dieser Gesamtstrategie.“

Oliver EckertBurdaForward-CEO und Co-CEO BurdaVerlag


Prof. Dr. Jochen A. Werner, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums Essen, zeigte in seiner Buchvorstellung “So krank ist das Krankenhaus – Ein Weg zu mehr Menschlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit in der Medizin„ (Klartext-Verlag, Essen, 2022) ein Systemversagen des Deutschen Gesundheitssystems auf, dessen Folgen sich immer weniger ignorieren lassen. Der “Medical Influencer“ berichtet darin von Pflegenotstand und Personalmangel, von Politikversagen, finanziellen Defiziten und verpassten Chancen der Digitalisierung, die Menschenleben kosten.

Woran unser Gesundheitssystem krankt

Der Essener Top-Mediziner, der in der Schule dreimal sitzenblieb und dem trotzdem eine beachtliche Karriere gelang, hat heute über vierzig Jahre Berufserfahrung. Er kennt die Zu- und Missstände in Gesundheitssystem und Krankenhauswesen aus erster Hand und er nennt die Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten offen und direkt.


„Um ein Krankenhaus zu verstehen, muss man ein Teil davon gewesen sein.“

Prof. Dr. Jochen A. Werner, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums Essen


Seine Rezepte für unser krankes Gesundheitswesen klingen für manche schmerzhaft oder zumindest unbequem, versprechen aber dauerhafte Heilung, wie er den anwesenden Medienvertretern erklärte. Und Presse wie Öffentlichkeit müssten mithelfen, die Situation der Kliniken zu verbessern, denn das dürfe man nicht alleine der Politik überlassen. Seine Lösungsvorschläge: 

  1. Das deutsche Gesundheitswesen ist teuer, marode und ineffizient. Das Finanzierungssystem an Krankenhäusern muss verändert und die Vorhaltekosten im Blick behalten werden.
  2. Die meisten Kliniken werden von Kaufmännern oder Kauffrauen geleitet, der ärztliche Direktor hat oft nur ein Nebenamt. Hier muss auf Augenhöhe zusammengearbeitet werden.  
  3. Wir haben in Deutschland viel zu viele Krankenhäuser, davon sind viele kleine und kleinste Einrichtungen. Wir werden kleine und leistungsschwache Krankenhäuser schließen, fusionieren oder in Gesundheitszentren umstrukturieren müssen. 
  4. Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um das Gesundheitssystem zu optimieren: Basierend auf digitalen Technologien, Unterstützung von Künstlicher Intelligenz und dennoch zutiefst menschlich. 
  5. Ich bin davon überzeugt, dass am Ende dieses Prozesses das Smart Hospital in einem Verbund digitalisierter, leistungsstarker Kliniken seine Stärken optimal ausspielen kann.
  6. Bei der Nutzung von Patientendaten sollte man Lockerungen schaffen, damit der Behandlungsstatus der Patienten für den jeweils behandelnden Arzt transparent ist. Es darf nicht sein, dass ein Patient nicht optimal versorgt wird, weil Klinik 2 von Klinik 1 keine Daten über ihn hat. Dazu braucht es eine Bundesstrategie. 
  7. Die Zukunft gehört nicht nur dem Smart Hospital, sondern auch dem Green Hospital. Krankenhäuser verursachen mehr Umweltbelastungen als Luft- und Schifffahrt. Auch hier ist die Digitalisierung ein Lösungsweg.
  8. Aktuell ist die Krankenhausplanung und damit die Entscheidung über Schließungen Sache der Bundesländer. Gesundheitspolitik und vor allem die Bedarfsplanung bei Krankenhäusern darf aber nicht länger Lokalpolitik sein. Notwendig ist ein bundespolitischer oder zumindest landespolitischer Masterplan, ohne persönliche Betroffenheit von einer übergeordneten Leitwarte, nach rein sachlichen Kriterien gesteuert.
  9. Die Pandemie hat die Grenzen des föderalen Gesundheitssystems in Deutschland aufgezeigt. Unsere föderale Planung muss durchlässiger werden, mit dem übergeordneten Blick auf das ganze Bundesgebiet. Stationäre Versorgung sollte über Oberzentren koordiniert werden, zumeist von Universitätskliniken.
  10. Um eine gute medizinische Versorgung zu gewährleisten, brauchen wir mehr Personal. Es sollte ein verpflichtendes soziales Jahr geben, um die Mitarbeitenden des Gesundheitswesens in Ihrem Alltag zu unterstützen.

Ein persönliches Schicksal als Weckruf

Persönlich von der Thematik betroffen war auch Freundin-Chefredakteurin Anke Helle, deren Vater mit chronischen Schmerzen ins Krankenhaus kam, dort an Corona erkrankte und im Krankenhaus starb. Die Umstände dort waren erschütternd, die Pflege mangelhaft und die Pfleger selbst völlig überlastet. Eine einzige Ärztin war in einem fünfstöckigen Haus für Notfallpatienten zuständig. Und auch ein würdevoller Abschied von ihrem Vater war Anke dort nicht möglich, wie sie an diesem Abend eindringlich berichtete. Über diese traumatisierende Erfahrung schrieb die Journalistin mutig und schonungslos im Focus “Die vergessenen Toten“ (Ausgabe 51/2022), Focus Online und in der Freundin „Machen unsere Krankenhäuser krank?“ (Ausgabe 1&2 2023), um diesem wichtigen Thema mehr Reichweite und dadurch mehr Aufmerksamkeit zu schenken.


„Ich habe mich entschlossen, darüber zu schreiben, weil ich eine öffentliche Stimme habe. Ich empfinde es als meine journalistische Pflicht, auf dieses Thema aufmerksam zu machen, damit sich etwas verändert. Und ich bin dankbar, dass ich das große Burda-Netzwerk dafür nutzen kann. Es war eine Freude, mit den Kolleg:innen zusammenzuarbeiten. Denn gemeinsam können wir bei Burda mit unseren Medien und unseren Reichweiten viel bewegen und bleiben unserem Ziel, immer nah am Menschen zu sein, treu.“

Anke HelleFreundin-Chefredakteurin


Ein Medien-Netzwerk für Veränderungen

Auf den Artikel im Focus-Magazin und bei Focus Online bekam Anke hunderte Briefe und Mails. Menschen haben sich vernetzt und bildeten Selbsthilfegruppen, um ihre traumatischen Erfahrungen und ihre Trauer zu verarbeiten.


„Auch deshalb freue ich mich, dass Florian und sein Team von Focus Online jetzt nachfassen. Mit einer Themenwoche über Deutschlands kaputtes Gesundheitssystem – und einer Suche nach Lösungen. Die Kolleginnen und Kollegen sammeln Erfahrungsberichte und ich wünsche mir, dass noch sehr viel mehr Menschen den Mut fassen, davon zu erzählen, damit sich möglichst bald etwas verändert.“

Anke HelleFreundin-Chefredakteurin


Mit dieser Themenwoche schafft Focus Online Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema und die Resonanz der Leser:innen ist riesig. 

Eine lebendige Diskussion zu Lösungsansätzen

In der anschließenden Panel-Diskussion über den Status Quo des Deutschen Gesundheitswesens besprachen Daniel Bahr, Vorstandsmitglied Allianz Private Krankenversicherung, Prof. Dr. Vera Antonia Büchner, Professorin für Management im Gesundheitswesen, PD Dr. Dominik Pförringer, Orthopäde, Start Up-Advisor und Digitalisierungsexperte sowie Freundin-Chefredakteurin Anke Helle die komplexe Thematik mit dem Publikum. Viele beklagten die Hürden von Bürokratie und Datenschutz und äußerten die Sorge vor immer schlechterer medizinischer Versorgung. 

Prof. Dr. Vera Antonia Büchner betonte, dass es nicht nur wichtig sei, neues Personal zu finden, das die Digitalisierung im Fokus hat, sondern auch, diese Menschen auch im Beruf zu halten. Darüber hinaus bräuchte es mehr Schnittstellen zwischen Medizin, Pflege und Verwaltung und interprofessionelle Kommunikation. Daniel Bahr kritisierte den komplizierten Verwaltungsprozess der Vergütung und forderte Pauschalen. Auch er plädierte für eine Zentren-Bildung sowie die sinnvolle Nutzung digitalisierter Patient:innen-Daten und bessere Kommunikation. Ebenso diskutiert wurden die strengen Voraussetzungen für das Medizinstudium.


 „Ein 1,0 Abitur ist das denkbar schlechteste Selektionskriterium für einen guten Arzt.“

PD Dr. Dominik Pförringer, Orthopäde, Start Up-Advisor und Digitalisierungsexperte


Viel wichtiger seien bei allem Fachwissen, das den Ärzt:innen heutzutage überall und immer zur Verfügung steht, die sozialen und menschlichen Kompetenzen. Es gehe auch um Einfühlungsvermögen und Herzlichkeit.

Kommunikation ist der Schlüssel für Veränderungen: Und das Wichtigste sei, die Menschen im Gesundheitswesen bei diesen Veränderungsprozessen mitzunehmen, alte Hierarchien abzubauen und ihre innere Bereitschaft für eine kulturelle Transformation wie die Digitalisierung zu gewinnen. Denn, wie Prof. Dr. Jochen A. Werner das Forum Focus Gesundheit so treffend zusammenfasste: „Mit dem Smartphone in die Arbeit zu gehen, um dann analog zu arbeiten und von Station A nach Station B Faxe zu schicken, das kann einfach nicht sein.“

Hier können Sie die Aufzeichnung der Veranstaltung abrufen.

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Weitere Impressionen & Downloads

Prof. Dr. Jochen A. Werner bei seiner Buchvorstellung “So krank ist das Krankenhaus – Ein Weg zu mehr Menschlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit in der Medizin“ © Max-Louis Köbele für Hubert Burda Media

Oliver Eckert, BurdaForward-CEO und Co-CEO BurdaVerlag begrüßte die Gäste © Max-Louis Köbele für Hubert Burda Media

(V.l.) Oliver Eckert, Daniel Bahr, Prof. Dr. Jochen A. Werner, Prof. Dr. Vera Antonia Büchner, PD Dr. Dominik Pförringer, Anke Helle und Justin Liesenfeld beim ersten Forum Focus Gesundheit in der Münchner Burda Bar © Max-Louis Köbele für Hubert Burda Media

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